Donnerstag, den 06. August 2015
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Ortrud Georg-Pathe betreut Mütter in der Justizvollzugsanstalt in Preungesheim. Sie möchte, dass die Frauen ein möglichst normales Leben führen können. Von Patrizia Czajor
Die Stühle an dem kleinen Holztisch sind leer. Puppen und Spielzeugautos sind in einer Kiste verstaut. Daneben liegen hellblaue Matten. Es gibt eine Spielwiese und ein paar Baby-Trapeze. Der Blick durch die Zimmerfenster fällt auf einen Spielplatz. Die Betonmauer ist nicht zu sehen. Und der Stacheldraht auch nicht.
Die Babys, die die Ringe und Figuren an den Trapezen bewegen, können noch nicht wissen, dass ihr Zuhause ein Gefängnis ist. Sie leben mit ihren Müttern im Mutter-Kind-Heim der Justizvollzugs-anstalt Preungesheim. Den Kindergarten, den es in dem Gefängnis gibt, besuchen sie bis zu ihrem dritten Lebensjahr. Erst danach kommen sie in einen öffentlichen Kindergarten in der Nähe.
Um Mütter und Kinder in Preungesheim kümmert sich Ortrud Georg-Pathe. Sie ist die Vorsitzende des Vereins Mutter-Kind-Heim. Der Verein ist der einzige in Deutschland, der sich inhaftierter Mütter und ihrer Kinder annimmt. Er finanziert Spielzeug, Ausflüge und Fortbildungskurse. Zum Engagement gehören auch die wöchentlichen Besuche von Georg-Pathe in der Justizvollzugsanstalt.
Manchmal liest die Frau mit den langen, grauen Haaren, der weißen Perlenkette und dem braunen Teint den Kindern Geschichten vor. Die Kinder klettern ihr auf den Schoss oder stützen den Kopf an ihren Beinen ab. ,,Für sie bin ich wie ihre Oma", sagt die Vierundsechzig-jährige und lacht.
An diesem Tag hat sie Kinderbücher und einen kleinen Korb samt Besteckset mitgebracht. An der Gefängnispforte reicht ihr der Pförtner eine Namenliste der inhaftierten Frauen. Als Georg-Pathe einen Fehler entdeckt, ärgert sie sich. „Gegen Rechtschreibfehler wehre ich mich mit Händen und Füßen", sagt sie. Früher war sie Grundschullehrerin.
Das hat ihr aber nicht gereicht. "Ich brauchte mehr Power", sagt Georg-Pathe. Von dem Verein erfuhr sie zufällig. Das war vor zehn Jahren. Damals begann sie, sich als ehrenamtliche Betreuerin für das Mutter-Kind-Heim zu engagieren, das 1975 auf Initiative von Bürgern hin eröffnet wurde. Seit 1988 liegt das Heim außerhalb der Gefängnismauern, um den Müttern und Kindern im offenen Vollzug ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Normalität bringen Menschen wie Georg-Pathe in den Alltag der Frauen. Die Zeit mit ihnen ist für die Betreuerin wertvoll. ,,Das hier ist das Leben." Sie schätzt die Offenheit und die Nähe. ,,Man redet, erzählt, es wird geweint und auch geschimpft."
Acht Mütter mit zehn Kindern leben derzeit im Heim des offenen Vollzugs, weitere fünf Mütter mit fünf Kindern sind im geschlossenen Vollzug untergebracht. Die meisten sitzen wegen Drogen-delikten, Diebstahls oder weil sie Geld-strafen nicht gezahlt haben in Haft. Eine Mutter möchte an diesem Tag mit Georg-Pathe sprechen. Sitzen sich die Frauen im Gemeinschaftsraum des Heims gegen-über, scheint es so, als unterhielten sich zwei Freundinnen. Die eine Freundin er-zählt der anderen von den Schwierigkeiten mit dem Ehemann. Die Frau ist verärgert, weil sie glaubt, dass der Mann den gemeinsamen Hund vernachlässigt. Sie fragt Georg-Pathe um Rat, möchte von ihr wissen, ob sie eine Möglichkeit sieht, das Tier ins Heim zu bringen.
Georg-Pathe empfiehlt der Mutter, Kontakt mit einem Tierheim aufzunehmen. Sie schlingt die Arme um die Knie und lächelt. Einen Moment lang ist wie-der alles so wie in einem gewöhnlichen Gespräch. Und das Zimmer nebenan mit den kleinen Tischen und Stühlen und den rosafarbenen Schränkchen könnte das Kinderzimmer in einem gewöhnlichen Haus in einer gewöhnlichen Wohn-siedlung sein. Nicht jeder versteht Georg-Pathes Engagement. Ihre Eltern zum Beispiel. Da-bei hat sich die frühere Lehrerin immer schon außerhalb der Schule engagiert: bei den Hayner Weibern, dem Kinderschutzbund, der Partei Die Grauen Panther, für die Drogenberatung. Außerdem war sie Dozentin an der Volkshochschule.
Wer sie fragt, warum ihr die Arbeit mit den inhaftierten Müttern wichtig sei, bekommt selbst eine Frage gestellt. "Sind Sie Mutter?", will sie dann wissen. Die Gegenfrage ist auch eine Antwort. Georg-Pathe ist Mutter von vier Kindern. Eines verunglückte kurz vor dem sechsten Geburtstag tödlich. In der Arbeit für den Verein ist sie vor allem Mutter. Sie findet Sinn und Freude darin. ,,Auch soziale Anerkennung", fügt sie hinzu. Für ihren Einsatz wurde sie schon mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr hat Bundespräsident Joachim Gauck sie ins Schloss Bellevue eingeladen, und kürzlich erst hat auch die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen Hessen-Süd sie mit dem Olympe-de-Gouges-Preis geehrt.
Doch es ist mehr als die soziale Anerkennung, die sie motiviert. Sie erzählt, wie sich die Mütter freuen, wenn sie ihnen hilft, einen Pass zu beantragen. ,,Es sind kleine Hilfen, aber es macht sie glücklich." Sie erinnert sich an das erste Gespräch im Mutter-Kind-Heim. Sie führte es mit einer Mutter im geschlossenen Vollzug. ,,Der Raum war dunkel, es gab keine Fenster." Die Frau, die ihr damals gegenübersaß, hatte die eigenen Kinder missbraucht. Aber die beiden Frauen sahen sich an und duzten sich gleich. Bedenken hat Georg-Pathe nie. Im Gespräch fand sie heraus, dass die Frau jahrelang erst von einem Nachbarn und dann vom Vater missbraucht worden war. Die Mutter der Frau wusste davon, setzte sich aber nie für sie ein. Für Georg-Pathe kann kein Mensch mit Sicherheit sagen, dass er nicht auch zu solchen Taten imstande wäre. "Man weiß nicht, was von außen auf diese Seele ein-gewirkt hat." Mit den Frauen aus dem geschlossenen Vollzug führt sie inzwischen keine Gespräche mehr. Die Belastung ist zu groß. Sitzt sie abends im Auto auf dem Weg nach Hause, denkt sie oft noch an die Gespräche. Die ganze Fahrt lang. Sie sagt: ,,Vielleicht ist das auch nicht so gesund."
Ersatzfreundin: Wenn Ortrud Georg-Pathe, Vorsitzende des Vereins Mutter-Kind-Heim, inhaftierte Mütter in Preungesheim besucht, nutzen viele die Chance, sich ihr anzuvertrauen. Jede Woche fährt die frühere Grundschullehrerin in die Justizvollzugsanstalt. Die Arbeit gibt auch ihr selbst viel. Foto: Wolfgang Eilmes
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